Der reiche Graf

 

Ein reicher Graf kam einmal in eine Stadt. Um jedoch festzustellen, wie die Bürger sich Fremden gegenüber verhalten würden, ließ er seine Kutsche, seine Knechte und seine schönen Kleider in einem Wald vor der Stadt zurück und zog sich nur ein einfaches Gewand an. Als er das Stadttor erreichte, bat er höflich, im Haus des Stadtvorstehers für eine Nacht aufgenommen zu werden. Er sei ein Fremder und habe einen langen Weg hinter sich. Man überbrachte dem Stadtvorsteher die Bitte. Dieser lehnte ab mit der Begründung, dass er nur angesehene und wohlhabende Fremde in sein Haus aufnehmen würde. Alles andere Pack könne vor den Toren der Stadt übernachten.

 

Am nächsten Tag kam der reiche Graf wieder in die Stadt. Doch dieses Mal in seiner prunkvollen Kutsche, mit Knechten und in schönen Kleidern. Schon bei seiner Ankunft öffnete man ihm das Stadttor und begrüßte ihn mit allen Ehren. Der Stadtvorsteher ließ dem Grafen ausrichten, es sei ihm eine große Freude, einen so wohlhabenden Mann in sein Haus aufzunehmen. Der Graf schickte daraufhin seine Knechte mit der Kutsche und seinen schönen Kleidern zum Haus des Stadtvorstehers und ließ ihm sagen: "Als ich gestern um Aufnahme bei dir bat, hast du mich vor die Tore der Stadt verwiesen. Du ließest mir ausrichten, dass du nur wohlhabende Menschen aufnehmen würdest. So sende ich dir heute nur Wohlhabendes. Meine Knechte, meine Kutsche und meine schönen Kleider, die du diese Nacht beherbergen sollst. Ich selbst werde aber vor den Toren der Stadt übernachten."

 

Dies beschämte den Stadtvorsteher sehr, denn er sah nun ein, wie töricht er gehandelt hatte.

 

(überliefert)



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